Von japanischen Geschirrflickern
Kennen Sie Kintsugi?
Dabei handelt es sich um eine traditionelle japanische Reparaturmethode, die man anwendet, nachdem Keramik oder Porzellan zu Bruch gegangen ist. Dabei wird ein natürlicher Lack oder eine Kittmasse genutzt, um den Schaden wieder zu beheben. So weit, so unspektakulär. Aber die japanischen „Geschirrflicker“ mischen der Masse noch eine spezielle Zutat bei: Gold-, Silber- oder Platinpulver. Somit werden die Schäden an den Tellern, Tassen und Kannen nicht übertüncht, sondern sie werden ganz im Gegenteil sogar besonders betont. Für jeden gut sichtbar, ist das Geschirr nun repariert.
Ein Leben besteht aus vielen unterschiedlichen Teilen. Manche Lebensabschnitte sind schöner, andere möchte man vielleicht lieber vergessen. Manche Phasen haben länger angehalten, andere waren kürzer. Die Menschen, die uns begleitet haben, sind manchmal dieselben geblieben; oft haben sie aber auch gewechselt. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass das Leben nicht immer rund läuft; es hat auch Ecken und Kanten. Alle Teile zusammen ergeben aber ein Ganzes, nämlich unser ureigenes, individuelles Leben. Dieses Leben haben nur wir gelebt, kein anderer.
Kintsugi lehrt uns, dass wir all diese Abschnitte des Lebens im Guten miteinander verbinden sollen – gewissermaßen mit goldenem oder silbernem Lack. Und manchmal braucht es auch Kitt, weil an mancher Stelle ein etwas größerer Schaden entstanden ist. Und dann und wann fällt es uns – ganz menschlich – schwer, die verschiedenen Teile beieinander zu halten.
In diesen Situationen kann Gott unser „Kitt“ sein. Seine Liebe macht uns heil, und sie schenkt uns eine besondere, eine neue Schönheit, die gerade durch die Brüche sichtbar wird. Dann können wir uns mit unserem Lebensweg versöhnen. Oder wie es der große russische Schriftsteller Leo Tolstoi einst gesagt haben soll: „Liebe deine Geschichte, denn sie ist der Weg, den Gott mit dir gegangen ist.“
Helfried Maas, Gefängnisseelsorger in der JVA Arnstadt