Singen verleiht Flügel

Wer singt, betet doppelt, sagt der Kirchenvater Augustinus.

Wer singt, tut sich selber etwas Gutes.  Wenn ich in den verschiedenen Seniorenheimen Arnstadts am Ende des Gottesdienstes das Lied anstimme: „Komm, Herr, segne uns“, dann singen auch die Senior:innen gerne mit. Ein Lied von 1978 – die zügige Melodie zieht jeden mit. Der Text ist eingängig. Singen zu Gottes Lob.

Kirchliche Musik verändert sich; natürlich. Besonders in den Freikirchen gibt es eine breite, sprudelnde moderne Musikszene. Schon längst gibt es Gottesdienste, die ausschließlich musikalisch von Bands bestritten werden. In der EKM gibt es jetzt einen Popkantor. Neue Töne sind zunächst immer ungewohnt – und: die neuen Lieder sind oftmals nicht leicht. Sie verlangen einiges an musikalischen Fähigkeiten. Oft sind mehrere Instrumente nötig zum Zusammenspiel. Und auch das gemeinsame Singen der Lieder will geübt sein. Ganz sicher sind die Orgeln, die wir in unseren Kirchen haben, wunderbare Instrumente und ebenso sind unsere Organisten und Organistinnen wunderbare Musiker. Und die oft schwer verständlichen Texte der alten Lieder sind inhaltlich kaum zu übertreffen.

Aber wie sich alles im Laufe der Jahrhunderte ausdifferenziert und weiterentwickelt, so bleibt auch „die“ Kirchenmusik nicht stehen. Besonders das Rhythmusempfinden ist heute anders als früher und verlangt nach anderen Melodien und einer anderen Art des Gesangs. Denn darum geht es immer: um den Gesang, ja um den Gesang der Gemeinde.

Wenn Sie Lust haben, schauen Sie mal auf die Internetseite www.monatslied.de. Zu jedem der zwölf Monate gibt es einen Kompositionswettbewerb und dann eben ein Monatslied dazu – sozusagen der jeweils gekürte Spitzentitel. Besonders schön finde ich das Monatslied vom April 2022: "Suche nach mehr" – oder dasjenige vom August 2022: "Bis ans Meer". Natürlich: Viele Lieder werden in Vergessenheit geraten und die moderne kirchliche Musik des Jahres 1978 ist anders als die des Jahres 2022. Und die des Jahres 2032 wird noch mal wieder anders sein.

Stets wird es ein Weiterentwickeln und ein Verwerfen geben. Und natürlich entwickelt sich auch die Orgelmusik weiter – eine Vielfalt, die Freude macht. Es ist gut, dass man durchaus das Gefühl haben darf, im Gottesdienst in einer anderen Welt zu sein. Diese andere Welt, dieser Vorgeschmack auf den ganz Anderen und das ganz Andere darf immer wieder neu entdeckt und gefunden werden – auch in den verschiedenen Formen der Musik.

Sie darf gefunden werden in den alten Liedtexten und dem unvergleichlichen Klang der Orgel und in neuen Texten und deren neuem unvergleichlichen Klang. Der Glaube bekommt jedenfalls durch das Singen Flügel, die uns Menschen durch die Zeit tragen.

Dr. Mathias Rüß, Pfarrer in Arnstadt