Ein feste Burg
Ein feste Burg ist unser Gott. Die Marseillaise der Reformation.
Luther dichtete das Lied im Jahr 1527/28. Es war eine herausfordernde Zeit. Luther war eine Zeitlang schwer krank. In Wittenberg wütete die Pest, Weggefährten Luthers starben, die Türken standen vor Wien, im Inneren gab es die „Papisten“ und die „Schwärmer“ …
Luther fand Trost in Psalm 46 und dichtete, vom Psalm inspiriert, Ein feste Burg als „ain trost lied“. Später wurde das Lied zum Kampflied, Trutzlied, Schlachtlied, Triumphgesang und Siegeslied. Es machte Karriere in der protestantischen Kirche. Im 18. Jahrhundert verband es sich untrennbar mit dem Reformationstag.
Ich möchte den Spuren des Trostes nachgehen, die Luther in Psalm 46 entdeckt haben mag. Denn auch wir brauchen Trost. Auch wir leben in komplizierten Zeiten. Es ändert sich so viel, wir fühlen uns oftmals überfordert und durchgeschüttelt. Eine Krise jagt die nächste. Viele sind müde und ratlos.
Menschen gehen auf die Straßen. Ich erkenne in den Spaziergängen einen gewissen religiösen Charakter. Man trifft sich nicht sonntags in der Kirche, sondern montags auf der Straße. Es findet eine Art Prozession statt mit Bekenntnissen, Liedern und Parolen, die skandiert werden. Menschen haben sich ein Ritual geschaffen, das ihnen offenbar Halt gibt.
Martin Luther findet Halt im Wort Gottes – in Psalm 46. Ich gehe ihn in meiner Predigt noch einmal durch.
Gott ist unsere Zuversicht und Stärke.
Das erste Wort im Psalm heißt GOTT und das letzte Wort „Gott Jakobs“. Im Hebräischen ist das besser erkennbar. Gott rahmt den Psalm. Er rahmt den Psalm, er rahmt unser Leben. ER gibt Halt. ER schenkt Gewissheit. Alles um uns herum mag sich ändern. Sicherheiten entgleiten uns. Mitten im Chaos aber ist Gott unsere Zuversicht und Stärke.
Ich muss die Stärke nicht in mir finden, nicht in einer anderen Person. Nicht in einer Regierung, nicht in einem Diktator, nicht in Parolen auf der Straße. Mit Gott verbinde ich mich, ER ist die Quelle meiner Zuversicht, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Die Nöte sind da. Sie sind groß und sie werden nicht klein geredet. Sie sind Realität. In ihnen ist der Psalmbeter nicht allein. Es gibt ein WIR. Gott ist unsere Zuversicht und Stärke. Eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Spüren wir, dass wir nicht allein sind? Spüren wir das auch in unseren Gemeinden? Mir kommt eine Erfahrung aus meiner Zeit als Gemeindepfarrerin in den Sinn. Ein junger Mann, 18 Jahre alt, gerade hatte er sein Abi in der Tasche, nahm sich das Leben. Er war aktiv in der Jugendarbeit, überaus beliebt als Teamer in der Konfirmandenarbeit.
Der Gemeindepädagoge war gerade auf Freizeit in Schweden, es waren Sommerferien, eigentlich traf sich die Junge Gemeinde nicht. Ich verbreitete unter den Jugendlichen, dass wir uns am Mittwoch in der JG treffen würden. Wegen Willi. Es kamen um die 100 Jugendliche. Mitschüler, Konfis, die Jugend von Kleinmachnow. Wir waren in der Kirche, alles war spontan. Zwei improvisierten am Flügel, sie spielten sich alles von der Seele. Einzelne standen auf, erzählten, was sie jetzt bewegte, und was sie mit Willi erlebt hatten. Es wurde gelacht und geweint. Gebetet, gesungen und am Ende war da ein Meer an Kerzen. Zu meiner Verabschiedung schrieben mir Jugendliche, dass sie diesen Abend nicht vergessen werden. „Hier haben wir gespürt, was Gemeinde ist“.
Gott ist unsere Zuversicht und Stärke
Eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Darum fürchten wir uns nicht,
wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.
Große Worte. Trotzige Worte.
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge …
Fürchten wir uns nicht? Ich fürchte mich schon, wenn ich wahrnehme, welche Veränderungen der Klimawandel mit sich bringt. Und dass wir uns jetzt mit einem Krieg beschäftigen müssen, statt uns um das Klima zu kümmern. Gletscher schmelzen – Berge sinken mitten ins Meer. Das ist Realität. Im Oktober mehrere Tage über 20 Grad, ich genieße das, aber finde es schon ein bisschen unheimlich.
Ein Gedanke aus der Abschiedspredigt von Pfr. Klemm klingt in mir nach. Er sagte sinngemäß: Die vielen jungen Menschen, die freitags auf die Straßen gehen, und sich als „letzte Generation“ bezeichnen, was tragen sie für eine Last auf ihren Schultern! Sie überfordern sich restlos mit dem Anspruch, die Welt retten zu müssen. Was bürden sie sich auf …und irgendwann werden sie scheitern. Und dann fuhr er fort: Nur Einer rettet die Welt.
Das hat mich bewegt. Wir sind doch mit den immensen Herausforderungen nicht allein! Da ist noch jemand, der größer ist als menschliche Intelligenz und Vernunft oder Dummheit – jemand, der uns eine Hilfe ist in den großen Nöten, die uns getroffen haben. ER hält die Welt in seinen Händen!
Darum fürchten wir uns nicht ….
Wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken.
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Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.
Hm. Was ist das? Die Stadt Gottes … fein lustig … mit ihren Brünnlein?
Ich recherchiere. Wie übersetzen andere?
Ich finde bei einem jüdischen Übersetzer folgendes:
Ein Strom, seine Bäche erfreuen die Stadt Gottes,
die heiligen Stätten des Höchsten.
Gott ist in ihrer Mitte, sie wankt nicht.
Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht.
Gott ist in ihrer Mitte. Der Strom und die Bäche. Das erinnert an das Paradies: Den Garten Eden, der Strom, der ihn durchzieht, und Gott, der mittendrin spazieren geht und sich an der Schönheit erfreut und den Menschen ruft.
Die Stadt Gottes ist nicht in erster Linie Jerusalem. Sie ist der Sehnsuchtsort, der sicher ist, weil Gott darin ist. Jeder Ort, jeder Raum hat das Potenzial, Gottesstätte zu werden. Ein Krankenzimmer, ein Klassenzimmer. Ein Wartezimmer. Ein Luftschutzbunker, ein Bahnhof, eine Kirche, eine Moschee, ein Tempel. Die neue Wohnung am neuen Ort. Das Zimmer in der Seniorenresidenz. Die Intensivstation. Überall kann Gott Wohnung nehmen.
Ein wunderbarer Trost in allen Widerfahrnissen des Lebens. Gott ist bei ihr drinnen. Darum wird sie fest bleiben.
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Jetzt wird der Psalm politisch:
Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Die Königreiche müssen fallen. Wie gut tut mir diese Aussage! Welch ein Versprechen liegt in der Vorläufigkeit, welche Freiheit! Alle Mächte vergehen.
Der Gott Jakobs ist unser Schutz
Jakob hatte seinen Bruder um den Segen betrogen, war geflohen und ist viele Jahre später in seine Heimat zurückkehrte, ängstlich: Wird mein Bruder mit vergeben?
Am Fluß Jabbok kämpfte er mit Gott oder einem Engel - er wird zwar verletzt, geht aber als Sieger aus dem Kampf hervor und bittet den Angreifer, ihn zu segnen. Dieser gibt ihm einen neuen Namen: Israel. Der mit Gott kämpft. Der jüdische Ausleger findet bemerkenswert, dass in diesem Psalm vom Gott Jakobs die Rede ist und nicht vom Gott Israels. Also, warum heißt es: Der Gott Jakobs ist unser Schutz? Und nicht: Der Gott Israels ist unser Schutz?
Im Judentum sind Jakob und Israel zwei Typen. Israel bezeichnet den selbstbewussten Menschen, der mit Gott gerungen und gesiegt hat. Jakob ist eher ein Typus, der Angst hat: „Da fürchtete sich Jakob sehr, und es wurde ihm bange“, so wird Jakob in der Bibel beschrieben. Ach, diese kleine Winzigkeit im Psalm wird mir zum Trost. Jakob war schutzbedürftig, ich bin es, wir sind es.
Der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Kommt her und schaut an die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt
und Wagen mit Feuer verbrennt.
Gott zerstört. Und ich spüre seine Lust an dieser Zerstörung: Er zerstört die Kriegsgeräte, er holt die Minen aus der Erde, Er fängt die Drohnen ab, er vernichtet Marschflugkörper.
Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.
Ich will mich erheben unter den Völkern,
ich will mich erheben auf Erden.
Auf einmal redet Gott selbst.
Er hat das Kriegsinstrumentarium zerstört. Paradiesische Ruhe ist eingetreten. Ein Schabbat der ganzen Schöpfung. Die Völker sind mit Israel im Glauben an den Gott Jakobs verbunden. Welch eine Vision. Wir Evangelische sind auch dabei. Und unsere katholischen Geschwister und die anderen Konfessionen auch. Und die anderen Religionen. Alle Völker. Franzosen. Die Briten haben vergessen, was der Brexit war. Russen und Ukrainer haben Frieden geschlossen und feiern miteinander. Im Iran gehen die Frauen ohne Schleier. In Afghanistan besuchen Jungs und Mädchen die Schulen.
Antisemitismus – Rassismus - was war das nochmal? Ach. Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin.
Lasst uns jetzt den Trostpsalm Luthers noch einmal gemeinsam beten. Das ist überhaupt das Beste, was wir gerade tun können.
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 5 Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. 6 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. 7 Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. 8 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Sela. 9 Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, 10 der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. 11 Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will mich erheben unter den Völkern, ich will mich erheben auf Erden. 12 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Amen
Zwei Originaltöne von Martin Luther, passend zum Trost-Psalm:
„Dass die Vögel der Sorge und des Kummers über deinem Haupt fliegen,
kannst du nicht ändern. Aber dass sie Nester in deinem Haar bauen, das kannst du verhindern.
Die Musik ist die beste Gottesgabe. Durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt. Musik ist der beste Trost für einen verstörten Menschen, auch wenn er nur ein wenig zu singen vermag. Sie ist eine Lehrmeisterin, die die Leute gelinder, sanftmütiger und vernünftiger macht.“
Elke Rosenthal, Superintendentin des Kirchenkreises