Loslassen

Wir müssen das Loslassen lernen, es ist die wichtigste Lektion des Lebens. (Julie Schlosser)

Wie die Bäume im Herbst ihre Blätter „loslassen“ müssen, so müssen auch wir hin und wieder in unserem Leben etwas loslassen. Es bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, dass uns dies oft schwer fällt, besonders wenn es sich dabei um lieb gewordene Dinge, Gewohnheiten oder gar Menschen handelt. Und ob wir das wollen oder nicht – an dieser „Lektion des Lebens“ kommt keiner vorbei.

Am Ewigkeitssonntag gedenken wir wie in jedem Jahr am letzten Sonntag des Kirchenjahres der Verstorbenen. Dabei sind nicht nur diejenigen zu einem solchen Gedenken angehalten, die im vergangenen Jahr einen nahe stehenden, lieben Menschen verloren haben, sondern für einen jeden kann dieser Tag zum Anlass werden, den Grenzen unseres Lebens und auch unserer eigenen Vergänglichkeit zu begegnen.

Ein solches Sichbewusstmachen der eigenen Endlichkeit lässt uns manches in einem anderen Licht sehen und gehört zu der wichtigen Lektion des „Loslassen-Lernens“ dazu. Und auch das Erinnern an einen lieben Verstorbenen kann und will uns bei dieser Lektion helfen.

Oft wird dieser Sonntag „Totensonntag“ genannt, doch ich spreche viel lieber vom „Ewigkeitssonntag“ (wie es in unserer Kirche seit längerer Zeit auch gebräuchlich geworden ist). Wir gedenken der Verstorbenen, doch wir tun dies mit einem ganz bestimmten Blick, der sich auf die Ewigkeit ausrichtet. Dahinter steht für Christen der Glaube (d.h. das Vertrauen darauf!), dass jedes einzelne Menschenleben – einzigartig und unverwechselbar, wie es ist – letztlich nicht verloren geht, sondern bei Gott aufgehoben ist, in seiner Ewigkeit.

Mit unserem Verstand können wir dies freilich kaum erfassen und begreifen. Doch mit Herz und Seele können wir erahnen, was der Dichter Rainer Maria Rilke einst in einem Gedicht sehr schön ausgedrückt hat:

„Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Ich wünsche Ihnen allen diese wunderbare Erfahrung, dass Gott uns in seinen Händen hält, was immer auch geschieht. Es ist eine Erfahrung, die tröstet und trägt – mitten im Leben ebenso wie angesichts des Todes.

Matthias Schubert, Pfarrer im Kirchenkreis Arnstadt-Ilmenau