Trojanischer Esel
Man kann den Adventtext ja auch so lesen:
Jesus stiftet geradeweg zum Diebstahl an, wenn er zwei seiner Jünger beauftragt: «Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer».
Ist doch verrückt, oder? Stellen Sie sich vor, mit so einer Begründung zeigt jemand auf Ihr Fahrrad und nimmt es Ihnen ab ... Aber Jesus bekommt seinen Esel und reitet in Jerusalem ein. Und dieser Einzug elektrisiert die Massen. Alle Welt scheint Kopf zu stehen: der Herrscher auf einem Esel? Der Heilige als Dieb? Der Sanftmütige, der gleich im Anschluss publikumswirksam die Händler und Wechsler aus dem Tempel rauschmeißen wird? Das ist doch mal was!
So verliert die Geschichte alles Brave, wird schön frech und aufmüpfig. Es wirbelt auf, wenn Jesus unsere Welt derart auf den Kopf stellt. Zur Begründung des «Eseldiebstahls» wird nun auch noch der Prophet Sacharja zitiert: «Du, Tochter Zion: Siehe dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel».
Sacharja sieht aber noch mehr, sieht mit diesem eselreitenden Messias das verheißene Friedensreich anbrechen: «Er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde». Keine Waffen mehr. Alle Geiseln und Gefangenen kommen frei. Jegliches Unrecht hört auf – überall und für immer.
Ja, schön wär das schon. Aber ist das realistisch? Gibt es einen vernünftigen Grund anzunehmen, dass zum Weihnachtsfest das universale Friedensreich anbrechen wird? Vergessen wir’s! Vergessen wir diesen Eselreiter mit seiner Friedensbotschaft. Aber was, wenn ihn nun alle Menschen vergessen? Wenn wir diese universale Hoffnung aufgeben? Unsere Welt wäre arm und trostlos, eingeschlossen in ihrer Tristesse wie durch hohe Mauern.
Da lasst uns doch lieber die Narretei des Eselreiters mitspielen. Jeder Gottesdienst ist ein Platzhalter jener Friedens-Utopie, die nicht von dieser Welt ist und - wenn überhaupt - nur draußen, kurz vor den Mauern unserer Stadt (Joachim Witt) ihren Ort hat.
Von diesem seltsamen Heiligen also lasst uns singen, um ihn beten, dass er die Welt zurechtrücke. Der fromme Reiter – er möge kommen! Er ist ein Kind dieser Stadt. Und vielleicht wird ja der Jerusalemer Esel zum trojanischen Pferd und öffnet uns das Tor für Gottes Reich inmitten unserer Welt.
Thomas Kratzer, Pfarrer im Marienstift Arnstadt