Offenheit

Videokonferenzen haben Hochkonjunktur. Es ist jedoch ermüdend, stundenlang auf einen Bildschirm zu schauen und in eine Kamera zu lächeln.

Viel Neues zu entdecken gibt es da gewöhnlich nicht, es sei denn, mein Gegenüber hat einen kleinteiligen Hintergrund zu bieten: ein Bücherregal mit viel Krimskrams drin oder eine Fotowand mit Urlaubsbildern. Wenn die Katze oder der Hund noch in den Blickwinkel der Kamera kommen, wird es etwas lebendiger. Um nicht so viel von sich preiszugeben, haben einige technisch Versierte einen virtuellen Hintergrund eingerichtet. Das bedeutet: nur der Kopf ist live, alles andere kommt aus dem Computer. Es ist dann so wie im richtigen Fernsehen.

Ich stelle mir vor, dass es bestimmt technisch möglich ist, den Kopf auch noch vom Computer gestalten zu lassen. Wie kann ich dann erkennen, wer mir gegenüber sitzt? Wer ist echt und wer nicht? Das wäre dann gewissermaßen der Enkeltrick vom Telefon auf die Videokonferenz übertragen. Dabei fällt es mir ohnehin schon schwer, jemanden wiederzuerkennen, erst recht mit Maske. Wer ist echt und wer ist nur fake? Seit einem Jahr haben wir uns daran gewöhnt nur aus sicherer Entfernung oder aus dem Verborgenen heraus zu begegnen. So bleiben wir verborgen, aber auch für uns bleibt vieles unsichtbar. Soll das so weitergehen?

„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.“ Psalm 139,23 - so heißt es in der Bibel. Es ist die Öffnungsklausel für meine Verschlossenheit und mein mitunter berechtigtes Misstrauen gegenüber anderen. Gott darf öffnen; ihm gebe ich mich zu erkennen. Ich muss ja auch nicht befürchten, dass ich ihn mit Corona anstecke - wie wunderbar! In allen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten wünsche ich Ihnen eine Offenheit des Herzens gegenüber Gott und gegenüber Menschen, die Ihnen am Herzen liegen!

Kersten Spantig, Pfarrer in Geraberg