Licht

"Ihr seid das Licht der Welt" –sagt Jesus zu Menschen, die ihm zuhören, sagt er auch zu uns.

Er, der an anderer Stelle von sich sagt: Ich bin das Licht der Welt. Jesus begibt sich auf gleiche Augenhöhe mit Dir, mit mir. Licht der Welt, das ist mehr als Vorbild eines guten Lebens, weitaus mehr. Licht macht die Welt hell. Licht macht offenbar, was verborgen ist - das Gute, aber auch das Böse, das die Dunkelheit bedeckt hatte.

Und das geschieht nicht so, daß Du, daß ich mit einer Lampe in die Dunkelheit leuchten, gespannt, was das Licht zum Vorschein bringt. Hätte Jesus das im Sinn gehabt, dann wäre er Skandalreporter oder Klatschkolumnist geworden. Nein, unser eigenes Leben, unser Tun und Lassen nennt Jesus Licht der Welt: Laßt euer Licht leuchten unter den Leuten. Eure guten Werke sollen sie sehen, sagt Jesus.

Erstaunlich, was Jesus uns zutraut. Aber können wir wirklich mit unserem Tun und Lassen das sein, was Jesus uns zutraut: Licht der Welt? Soll, darf wirklich alles Verborgene offenbar werden? Wenn in dieser Gesellschaft das Leben eines Prominenten, eines Politikers, einer Sängerin, eines Sportlers durchleuchtet wird, dann geschieht dies doch, um Dunkles, Unerfreuliches ans Licht zu zerren. Dann soll die heile Welt, die oft die gleichen Leute aufgebaut haben, zerstört, als Lüge offenbart werden. Und dazu ist jedes Mittel recht: Da werden Handlungen auf eine Stufe gestellt, die völlig unterschiedlich gelagert sind, da werden Verhaltensweisen, die über Jahre, Jahrzehnte hinweg als äußerst honorig, als Muster vorausschauenden Handelns galten, über Nacht als anrüchig, ja als kriminell verdammt.

Überhaupt: kann unser alltägliches Leben, können auch unsere guten Taten als Gegenwart des Himmelreiches gelten? Kann nicht jeder guten Tat eine böse Absicht unterschoben werden? In der veröffentlichten Meinung erleben wir dies tagtäglich. Kann auf der anderen Seite nicht jede kriminelle Tat als notwendig im Kampf für eine bessere Welt verklärt werden?

Und dennoch! Gerade sich weil in dieser Welt die Lüge so frech als Wahrheit gebärdet, die Menschenverachtung in Gestalt der Menschenfreundlichkeit auftritt, die Gottlosigkeit in Gestalt der Liebesreligion daherkommt, gerade darum ist es notwendig, dass Menschen mit ihrem Leben, in ihrem Alltag die Gegenwart dessen bezeugen, der diese Welt verändert und erneuert, der die Lüge, die Illusionen offenbar macht und überwindet.

Und das traut Jesus uns zu: Ihr seid das Licht der Welt. Doch ich muss noch einmal fragen: Wie steht es damit? Gewiss, es gehört heute zum guten Ton in der Gesellschaft, gerade auch in der Kirche, die eigenen guten Leistungen vollmundig herauszustreichen. Seht her: Jesus hat doch gefordert, die Menschen sollen eure guten Werke sehen. Also: Tue Gutes und rede darüber, lautet die Parole. Was wir tun, das kann sich doch sehen lassen. So klopfen sich tagtäglich viele selbst auf die Schulter, beileibe nicht nur Politiker. Bei denen können wir nur besonders gut erkennen, dass all das, was da 'gute Werke' genannt wird, eher zu der Lüge, zu der Illusion gehört, die unser Leben krank macht – dass sie von der Angst vor dem bestimmt sind, der die Welt verändert und erneuert.

Jesus selbst hat am Ende seiner Rede gesagt, was ein Werk zu einem guten Werk macht: An den Früchten sollt ihr sie erkennen. Eine Tat wird nicht gut, weil Du, weil ich sie für gut halten, weil eine selbstgerechte Kommentatorin sie gut nennt.

Eine Tat ist dann gut, wenn sie bei Menschen ein Licht aufleuchten läßt, wenn sie die Einsicht erweckt: Es geht auch anders in der Welt. Da gibt es eben nicht nur eitle Selbstdarstellung, da sind auch Menschen, die sich nicht fürchten vor dem, der die Welt verändert und erneuert. Menschen, die sich befreien lassen von ihren Wünschen und Vorurteilen, von den Illusionen und Lebenslügen – durch ihn, der sagt: Ich bin das Licht der Welt.

Und so werden sie zum Licht der Welt, ohne dass sie verbissen darum gerungen, krampfhaft danach gestrebt haben - allein durch seine Zusage werden sie zum Licht der Welt.

Dr. Udo Huß, Pfarrer i. R. (Ilmenau)