Gräben überwinden
Verstockt eure Herzen nicht. (Hebräer 3,15)
„Wie habe ich mich gefreut, als ich heute vor dreißig Jahren ein Mädchen als mein erstes Kind zur Welt brachte“, so stand es auf der Karte, die ich in der Nachttischschublade meiner Mutter fand. Ich war Teenager und neugierig. Ich sprach meine Mutter darauf an. Was war da los? Wieso hattest du so viele Jahre keinen Kontakt zu deiner Mutter? Und sie erzählte. Sie erzählte, wie verstockt die eine wie die andere Seite war. Und das nur, weil eine katholische Frau einen evangelischen Mann liebte. Als sie trotzdem heirateten, brach ihre Familie den Kontakt zu ihr ab. Sie wurde quasi verstoßen. Das dauerte 13 Jahre.
Heute ist das nicht mehr nachvollziehbar. Es ist auch fast 80 Jahre her. Und ich, als Spätgeborene, habe immer mit Selbstverständlichkeit meine katholische Oma erlebt. Gar nichts ist selbstverständlich. Mit einer Postkarte hatte die Oma die Brücke gebaut. Die Brücke zurück zu ihrer Tochter. Mit Worten der Liebe, die das Herz meiner Mutter erreichten. Die Karte hob sie ihr Leben lang auf. Heute hüte ich sie wie einen kostbaren Schatz.
Liebe überwindet Gräben. Zur Liebe gehört Respekt gegenüber Menschen, die anders denken, fühlen und handeln. Es erschreckt mich immer wieder, welche Rohheit heute mehr und mehr um sich greift. Im Alltag und im Netz. Auf der Straße.
„Wir werden uns viel zu verzeihen haben“ prophezeite der ehemalige Gesundheitsminister. Ja. Auf allen Seiten. Überlegen wir uns doch Worte, die die Gräben überwinden helfen. Worte des Respekts und der Liebe - für die Menschen, die uns fremd geworden sind und die wir doch vermissen - in der Familie, in der Gemeinde, in unserem Dorf. Gehen wir auf sie zu. Den Rest erledigt Gott.
Elke Rosenthal, Superintendentin des Kirchenkreises Arnstadt-Ilmenau