Bei mir bist du scheen
Der Posaunenchor setzt ein und intoniert eine festliche Intrade. Es ist das Signal für die Besucher im Raum und für die Wartenden unten im Kreuzgang: der Gottesdienst beginnt.
Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Die junge Frau mit dem Vortragekreuz zuerst, dann all die anderen - mit Osterkerze, Blumen und Kerzen, Parament und Bibel, mit Wasser, Brot und Wein. Jeder trägt etwas herbei, um den Altar zu schmücken und so die Anwesenheit Gottes anschaulich zu machen.
Wie schön er jetzt aussieht im Licht der aufgehenden Sonne, herrliches Septemberlicht von Osten her, das den Chorraum flutet. Hohe Zeit allemal für die Gemeinde, dieses Licht willkommen zu heißen samt dem gekreuzigten Christus, der in der Mitte auf den Altar gestellt wird. Das Altarkreuz spricht an, auch ohne Worte: Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen (Psalm 127,1).
Und die Anwesenden haben das Gefühl: das ist wahr. Ohne Gott, ohne dass Menschen die Anwesenheit Gottes in diesem Raum immer wieder suchen und feiern, ohne dass sie dieses Haus mit ihrem Leben füllen, wäre auch diese Kirche nur eine Kulisse des Sinnlosen – über die dann auch ihre Anmut und Strahlkraft und so manches schöne Detail nicht hinwegtäuschen kann.
Freilich spricht ein Gotteshaus in vielfältiger Weise an, auch Menschen, die nicht unmittelbar vom Glauben berührt sind. Es ist ein Fingerzeig darauf, dass Gott selber gesprochen und bei uns vorbeigeschaut und uns angeschaut hat in dem, der da auf dem Altar schmerzvoll seine Hände ausbreitet.
Von Gott angeschaut: angesehene und gerettete Leute zu sein, das ist die Melodie, an der die christliche Gemeinde erkannt werden soll. Oder wie es in einem alten jiddischen Schlager heißt: „Bei mir bist du scheen ...“ In Gottes Gegenwart bin ich ein ansehnlicher, ein schöner Mensch.
Wir brauchen uns der Liebe, mit der Gott uns Sünder anschaut, nicht zu schämen – und deshalb auch unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Der unansehnliche Zachäus hat das gespürt, als er auf den Maulbeerfeigenbaum stieg, nur um Jesus zu sehen. Und er ist so unverhofft zum Gastgeber für den HERRN geworden: Zachäus, steig eilend herunter, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren (LK 19,5).
Also: Fenster und Türen auf! Auf dass wir des Ansehens Gottes gewahr werden und seine Einladung hören und sein Kommen fröhlich erwarten. Am Ende des Gottesdienstes spielt der Po- saunenchor wieder: come along – Mitkommen! So kann es gehen für die Oberkirche. Und in den Hütten, in denen wir wohnen.
Thomas Kratzer, Pfarrer in Arnstadt