Aufregung

Meines Wissens war es das erste Mal, dass sie davon sprachen, richtig fertig, richtig erschöpft zu sein.

Und man konnte es ihnen auch ansehen. Sie wollten nur noch in Ruhe gelassen werden, nur noch ihre Ruhe haben. Die Arbeit war anstrengend und ungewohnt. Bäume haben sie gepflanzt im Wald.

Der Rücken der Jugendlichen musste Schwerstarbeit leisten: den ganzen Tag bücken, Setzlinge in den Boden bringen, wieder aufrichten, Erde dazu und antreten, 8 Stunden lang, 1.000 Setzlinge an einem Tag, allesamt Schüler, eine ganze Klasse voll, eine Ferienwoche lang.

Eine schlief bereits am Wegesrand, als ich sie am dritten Tag nach Feierabend abholte: richtig fertig, richtig erschöpft war sie. Sie sind es nicht gewohnt, sind nie groß von körperlicher Arbeit in Anspruch genommen, gar ins Schwitzen gekommen. Und sie sind damit längst nicht mehr alleine.

Die Arbeit der meisten spielt sich nicht mehr in Wald, Feld und Flur ab, sondern: am Schreibtisch. Wirklich ins Schwitzen kommen und sich erschöpfen, das passiert heute beim nachmittäglichen Workout auf der Iso-Matte oder beim Sport nach Feierabend. Aber die große Ruhe nach getaner Arbeit, einmal morgens anfangen und abends wirklich fertig zu sein, das ist auch unsere Sehnsucht.

Einmal alle Setzlinge für diesen Tag in den Boden gebracht zu haben und dann: die große Ruhe im Wald der Standby-Geräte. Solange die Erde steht sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1. Mose 8,22). So hat es Gott versprochen nach der großen Flut und seinen Bogen an den Himmel gesetzt.

Wir aber sind dabei, die Bögen des Lebens mit aller Gewalt gerade zu biegen, weil es immer weitergehen muss, weil wir das Ende nicht sehen, weil wir nicht fertig werden wollen. Die große Ruhe nach der Arbeit verschieben wir lieber. Lieber noch etwas tun.

Ach ja - bevor ich an jenem dritten Tag die schlafende Schülerin abholte, hielt ich eine Andacht. Die Glocke läutete und lud alle dazu ein. Mitten in der Andacht, just als es um die Bögen des Lebens ging, platzte aufgeregt eine Frau hinein und meinte: die Glocke läutet ja immer noch. Kann die mal jemand ausschalten. Die Leute rufen schon an und regen sich auf.

Thomas Kratzer, Pfarrer im Marienstift Arnstadt