10.03.2022
Werner-Sylten-Preis

(PM EKM/rb). Mit dem Werner-Sylten-Preis für christlich-jüdischen Dialog wurden kürzlich zwei Lehrerinnen des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt für das Schulprojekt „Das verschollene Fotoalbum“ sowie Pfarrer Michael Kleim aus Gera für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Die Preisträger erhielten jeweils 1.000 Euro. Den mit 500 Euro dotierten Zweiten Preis erhielt der Verein „Themar Trifft Europa“.  Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) vergibt die Preise zum sechsten Mal.

1.           Preis für Lehrerinnen des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt (1.000 Euro)

Ausgangspunkt des Schulprojekts „Das verschollene Fotoalbum“ war der private Kellerfund eines Fotoalbums durch die Schülerin Nele Ellenberg im November 2020. Das Album spiegelt das Leben der jüdischen Gemeinde Erfurts von 1938 bis 1952 wider. Die Lehrerinnen Franziska Neudorf und Claudia Bargfeld nutzten den Fund, um das Fotoalbum mit zwei Lerngruppen jahrgangsübergreifend im gesellschaftswissenschaftlichen Wahlpflichtkurs der Klassen 9 und 10 zu bearbeiten. In Zusammenarbeit mit der jüdischen Landesgemeinde wurde das Album mit Bildern und Notizen historisch kontextualisiert. Die Schülerinnen und Schüler versuchten mit ihrer Spurensuche, dargestellte Menschen mit Hintergrundgeschichten zu verknüpfen, jüdische Riten und Bräuche zu untersuchen und in der Stadt alte Baugeschichte mit neuen Perspektiven fotografisch zu vergleichen. Die professionelle Umsetzung der Ergebnisse in eine digitale Variante des Fotoalbums erfolgte durch Workshops mit der Grafikerin Marianne Conrad.

Die Jury des Werner-Sylten-Preises würdigt das Engagement der beiden Lehrerinnen, „die die Schülerinnen und Schüler zu einer kreativen Auseinandersetzung mit einem besonderen Objekt ermuntert und befähigt haben“. Besonders preiswürdig sei die gute Vernetzung zur jüdischen Landesgemeinde zur Zivilgesellschaft und andere Partnern. Die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte und jüdischem Leben spreche mehrere Sinne und Erfahrungsebenen an.

Preis für Pfarrer Michael Kleim, Gera  (1.000 Euro)

Michael Kleim, 1960 geboren, wurde während des Theologie-Studiums dafür sensibilisiert, antijüdische Tradition in Theologie und Kirchengeschichte kritisch zu reflektieren. Er protestierte gegen konkrete Formen Israelbezogenen Antisemitismus der SED und thematisierte den Rechtsextremismus und Antisemitismus in der DDR. Als Theologe vermittelte er die Auseinandersetzung mit jüdischem Glauben in die Gemeinden hinein und informierte über den christlich-jüdischen Dialog. Sein Einsatz für die Begegnung mit jüdischer Kultur, jüdischem Glauben und jüdischen Menschen, für Wahrnehmung jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens der Gegenwart wurde vielfältig unterstützt. Durch die Organisation von Gottesdiensten, Konzerten, Lesungen, Vorträgen, Ausstellungen, Filmen, Stadtführungen und Veranstaltungen zur Erinnerung an verfolgte jüdische Gemeinden wurden zahlreiche Menschen erreicht. Für Jugendliche organisierte Kleim Bildungs- und Begegnungsfahrten. Im Erinnerungsjahr „900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen publiziert er via Facebook mit dem Hashtag „shabbatshalom“ Informationen zu jüdischer Geschichte und Gegenwart. Das Engagement gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus, ob vor Ort und im Stadtbild, im Internet, im Rechtsrock oder verpackt als Verschwörungstheorie, ist ihm ein wesentliches Anliegen. Michael Kleim litt unter jahrelangen Bedrohungen seiner Person und seiner Familie.

Die Jury würdigt Pfarrer Kleims lebenslanges Engagement für christlich-jüdischen Dialog und gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. „Das Eintreten für Menschenwürde und gegen jede Ausgrenzung und Diskriminierung ist fest in seiner theologischen Überzeugung verwurzelt, für die er auch Anfeindungen in Kauf nimmt“, heißt es dazu.

2.           Preis für den Verein „Themar Trifft Europa“ (500 Euro)

Von 1866 bis 1944 gab es in Themar an der Werra eine lebendige jüdische Gemeinde mit ca. 100 Mitgliedern. Die Machtergreifung durch die Nazis beendete das jüdische Leben. Der Städtepartnerschaftsverein „Themar trifft Europa“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit sechsundsechzig Stolpersteine vor fünfzehn Wohnorten an jüdische Bürgerinnen und Bürger zu erinnern, die hier gelebt haben, die gedemütigt wurden, fliehen mussten oder in eines der Vernichtungslager deportiert und dort umgebracht wurden. Zur Verlegung der Steine durch den Aktionskünstler Gunter Demnig gab es Begegnungen mit den Enkeln, Neffen und Nichten der Themarer. Ein Flyer mit einem Stadtplan und den Verlegestellen hilft zur Orientierung. Künftig sollen sich Gäste ein Bild zur Geschichte jüdischen Lebens in Themar über einen Touch-Screen-Tower verschaffen.

Seit 2008 findet jährlich zum 9. November eine Veranstaltung mit Vorträgen sowie Kunst und Musik zur jüdischen Geschichte statt. Die Initiatoren hoffen, dass durch die Belebung der jüdischen Geschichte ein Bewusstsein in der Bevölkerung gegen neue antisemitische Tendenzen wächst.

Die Jury würdigt die Verknüpfung eines Engagements gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus mit der Aufarbeitung der lokalen und regionalen Geschichte jüdischen Lebens. „Zivilgesellschaftliche und kirchliche Partner arbeiten vielfältig vernetzt miteinander. Durch die Verbindung zum städtepartnerschaftlichen Engagement und den Kontakt zu den Angehörigen ehemaliger Themarer wird die historische Perspektive durch lebendige Begegnungen ergänzt“, so die Jury.

Hintergrund:

Mit einem Beschluss der 2. Landessynode hat sich die Landeskirche verpflichtet, jeder Form von Antisemitismus zu widersprechen, in Lehre und Leben das religiöse Selbstverständnis des Judentums zu achten, für Religionsfreiheit einzustehen und der Entrechtung, Diskriminierung und Zerstörung jüdischen Lebens entgegenzutreten sowie den Reichtum der jüdischen Schriftauslegung wahrzunehmen und sich mit antijüdischen Interpretationen der Bibel auseinanderzusetzen. In der Folge wurde der Werner-Sylten-Preis ins Leben gerufen. Mit ihm werden Projekte ausgezeichnet, die die Selbstverpflichtung im Raum der Landeskirche umsetzen.

Werner Sylten war ein evangelischer Theologe, der 1936 wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Pfarrdienst entlassen wurde. Er half mit, das Leben von mehr als tausend „nichtarischen“ Christen zu retten. 1942 ermordeten ihn die Nazis. 1979 wurde ihm von der Gedenkstätte „Yad Vashem“ der Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen.