21.03.2016
Entsetzen und Trauer

Nach dem grausigen Fund zweier Babyleichen in Ichtershausen (bei Arnstadt) fand vor kurzem unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die Trauerfeier für die getöteten Säuglinge in der Ichtershäuser Klosterkirche St. Georg und Marien statt. Die Pfarrer Carmen und Michael Ehrlichmann gestalteten das Gedenken.

Hier die Ansprache zur Trauerfeier von Pf. Michael Ehrlichmann:

 

In einem ihrer schönsten Lieder sangen die Sänger von Karat: „Wenn ein Schwan stirbt, schweigen die Tiere...“ Was dann folgt, ist ein Lied auf das Leben und seine Schönheit, ein Kaleidoskop strahlend bunter Endlichkeit.

Den beiden Jungs Pascal und Leon wurde das irdische Leben geschenkt, ein göttliches Geschenk, das zu geben nur in Gottes Händen liegt. Aber sie durften nicht leben, von den Händen der Menschen, denen sie anvertraut waren, wurde es ihnen wieder genommen. Zumindest dazu scheinen Menschen fähig: das kaputtzumachen, was Gott ihnen schenkt und anvertraut. Das Leben von Pascal und Leon wurde brutal beendet, als es gerade begonnen hatte.

„Wenn ein Schwan stirbt, schweigen die Tiere...“ Angesichts dessen, was Pascal und Leon angetan wurde, verschlägt es einem die Sprache. Diese Tat verursacht ein ohrenbetäubendes Schweigen, bei allen, die von ihr hörten. Und trotzdem müssen wir reden. Hilflose Worte gegen das lähmende Schweigen. Es ist die Zeit der Klage, der Anklage, der Trauer und der Wut. Es ist aber auch eine Zeit des Friedenfindens, des Friedenmachens. Denn das Leben ist kostbar.

Noch hält Gott sein Wort und steht zu seinem Bund, den er damals stellvertretend für alle Menschen mit Noah schloss:
„Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort die Erde nicht mehr verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8, 21f)

Und so schenkt Gott weiter Leben, uns Menschen, den Tieren und den Pflanzen. Und dann müssen wir erleben, wie respektlos Menschen mit diesem Geschenk umgehen, es zerstören, wegschmeißen. Hier scheint der menschliche Verstand an seine Grenzen zu kommen. Zu begreifen gibt es da nichts. Nur zu klagen und zu weinen. Und die Frage nach Gott ist im Raum. „Wo warst du, barmherziger Gott? Wenn du so barmherzig bist? Wo warst du, als Pascal und Leon getötet wurden? Warum hast du das nicht verhindert?“ Die Klage bleibt, wohl nicht nur hier und heute, ohne Antwort. Es bleibt eine Ahnung, vielleicht. Es bleibt eine Ahnung, dass Gott mit uns weint über den gewaltsamen Tod dieser beiden Kinder.

Was können Menschen einander antun? Wo endet das Menschsein? Was ist mit der Freiheit, die wir haben? Wo wird sie missbraucht, wo mit Füßen getreten? Und Gott weint mit uns und steht zu seinem Bund. Ein schmerzhafter Cocktail an Gefühlen durchströmt unsere Adern: Ist es Wut? Ist es Verzweiflung? Pascal und Leon werden dadurch nicht mehr lebendig – das ist wahr – und doch sind diese Gefühle alle da – sie sind nicht zu leugnen, sondern haben ihren Sinn.

Wir müssen uns unseren Gefühlen stellen, sie benennen, damit wir Frieden finden können, vor Gott, vor uns und vor unserem Nächsten. Dazu sind wir hier. Im Moment dieses Abschieds möchte ich Ihnen etwas über meinen Glauben erzählen. Es ist ein schlichter, einfacher Satz aus dem Jesajabuch, der mir dabei heute helfen soll:
„Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die Angst sind.“ (Jes 8, 23)

Angst ist da. Gefühlte Dunkelheit im Körper. Aber: Dieses kleine Wörtchen ist mir ein Anstoß! Dieses Wörtchen wehrt sich gegen das Enge, das Dunkle und die Angst. Aber es wird so nicht bleiben. Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort, sondern die Liebe wird sich durchsetzen. Gott steht zu seinem Bund. Ich weiß, ich rede gegen alle gelebte Wirklichkeit heute und gegen alle Vernunft. Ich rede von Glaube, Hoffnung und Liebe.

Und ich glaube, dass es diese drei gibt, und dass die Liebe die Größte unter ihnen ist. Und ich glaube daran, dass es diese Hoffnung gibt, dass sie irgendwo, irgendwann wieder aufkeimen wird. Es ist das Festhalten an der Liebe, die sich Menschen schenken und die uns von Gott geschenkt wird. Es wird nicht dunkel bleiben. Die Angst, die alles einengt und das Leben vertreibt, die wird der Liebe weichen müssen. Es wird nicht dunkel bleiben und das Grab hat nicht das letzte Wort.

Gott spricht das letzte Wort, und er wird es mit Liebe umhüllen. Ob wir nun leben oder sterben. In diesem Glauben an den Sieg der Liebe und dem Ende allen Hasses können wir Pascal und Leon in Dankbarkeit und Frieden in Gottes Hände geben. Er wird ihnen mit Liebe begegnen. Das himmlische Leben in seinem Licht wird ihnen keine Menschenhand mehr nehmen können. Unser Leben soll der Liebe dienen. Gott möge uns wieder öffnen für seine Gegenwart:
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

In Gottes Liebe wird es in unseren Herzen nicht dunkel bleiben. Passen Sie auf, auf sich und Ihre Nachbarn. Amen.