Trost, der trägt

In der Erzählung des Lukas über den Tod Jesu liegt für mich besonders viel Trost. Den brauchen wir heute.

Jesus erfährt auch selber Trost - durch einen Verbrecher, der neben ihm am Kreuz hängt. Und Jesus wiederum tröstet ihn. Im größten Leiden sind sich die beiden auf einmal nah. Dass das möglich ist, tröstet mich. Lukas schreibt (Kap. 23, Verse 32–49):

Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.

Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!

Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!

Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.


Das Bild haben wir am Karfreitag alle vor Augen: Die drei Kreuze vor der Stadt. Das ist die Totale. Jesus in der Mitte. Links und rechts je ein Verbrecher. Nur Lukas zoomt heran und lässt uns hören, was die drei reden.

Die drei Kreuze mit den Verurteilten sind aufgerichtet, Jesus in der Mitte. Jesus betet: „Vater, vergib, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Er bittet Gott um Vergebung für die, die ihn kreuzigen. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Sie wissen nicht, wen sie hier kreuzigen. Sie wissen nicht, dass der in der Mitte Gottes Sohn ist.

Jesus handelt priesterlich, schreibt Martin Luther in einer Predigt über diesen Text. Ein Priester hat die Aufgabe zu beten. Sozusagen für andere ein gutes Wort bei Gott einzulegen, zwischen Gott und Menschen zu vermitteln: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Noch in dieser Extremsituation, in der Jesus sich befindet, handelt er wie ein Priester, indem er um Vergebung bittet - für seine Henker.

Luther schreibt, der eine Verbrecher habe das Gebet wohl gehört. Er habe gehört, wie er Gott mit „Vater“ ansprach. Kein Mensch hat Gott Vater genannt damals. Vor Gott hatte man Angst, mindestens Furcht. Man näherte sich Gott nicht wie ein Kind dem Vater oder der Mutter. Für Liebe war in der Beziehung zu Gott kein Platz. Gott war der Richter, der am Ende entschied: hopp oder topp. Dazwischen gab es nichts.

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Der Verbrecher spürt die Nähe Jesu zu Gott. Er spürt das Vertrauen zwischen ihnen. Und das berührt ihn.
Luther meint, der Verbrecher denke: Wenn Jesus Gott "Vater" nennt, muss er sein Sohn sein. Er ist Gottes Sohn. Das erkennt der Verbrecher. Und dieser hebt nun an zu einer Verteidigungsrede, denn der andere Verbrecher meint einstimmen zu müssen in den allgemeinen Spott, der sich über Jesus ergießt. Der zur Rechten aber schützt Jesus und sagt: „Wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan“.
Er hat nichts Unrechtes getan.

Wie muss das Jesus getröstet haben! Dieser Verbrecher erkennt, wer Jesus ist und nimmt ihn in Schutz. Er wird – neben ihm hängend - einer der Seinen. Er schafft, was die Jünger nicht geschafft haben. Die Jünger verrieten ihn, verleugneten, ergriffen die Flucht. Ein Verbrecher aber verteidigt ihn. Nach nur einem Satz, den dieser von ihm gehört hat. Der Verbrecher kehrt um und wird am Ende seines Lebens ein anderer. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen.“

Das geht sogar am Kreuz. Welch ein Trost für Jesus. Und irgendwie auch für mich. Der Verbrecher stellt sich zu Jesus, bekennt sich zur eigenen Schuld, nichts redet er schön: Ich hänge hier zurecht! Der aber nicht! Und er bekennt sich zu Jesus entgegen dem Shitstorm gegen Jesus, der da am Kreuz passiert. Die Versammelten spotten, entwürdigen, foltern, bereichern sich noch an Jesu Gewand, glotzen, geilen sich auf an dem Leid der Gehenkten.

Der, der spürt, wer Jesus in Wirklichkeit ist, bittet ihn dann: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“. Denke an mich. Mehr nicht. Er wünscht sich, dass das bleibt, was gerade erst entstanden ist: Die Verbindung zu ihm. Die Verbindung zwischen beiden. Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst.

Wie tröstlich muss das für Jesus gewesen sein, solch einen Zuspruch, solch ein Vertrauen hier am Kreuz zu finden: Du bist doch der Herr, den ich gefunden habe in den letzten Minuten meines Lebens. Zu dir gehöre ich doch trotz allem, was ich getan habe. Denn bei dir und bei deinem Vater im Himmel ist so viel Vergebung.

Jesus antwortet: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Heute. Du mit mir im Paradies. Was für eine Aussicht in völlig aussichtsloser Lage. Die beiden vereint eine Hoffnung. Eine Zukunft. Es gibt einen Ausweg. Für Jesus und den Verbrecher dauert es nicht mehr lange. Noch heute.

Ich schmiege mich in den Trost, der zwischen den beiden entsteht. Ich spüre, dieser Trost wird mich tragen in schlimmen Zeiten. Dieser Trost lässt mich aushalten. Dieser Trost stärkt mich. Das Leid, das Menschen einander hier auf Erden antun, ist nicht das Letzte, sondern das Vorletzte. Am Ende steht das Paradies. Der Garten Gottes. Seine Fürsorge. Seine Vergebung. Gnade pur. Gnade für alles, was ich vermasselt habe. Was schief gegangen ist. Was nicht gut geworden ist. Was zerbrochen ist. Auch alles, was politisch in eine falsche Richtung lief und nicht mehr einzuholen ist.  

Mit allem können wir zu Jesus kommen. Und immer, auch in den letzten Minuten unseres Lebens können wir neu werden.

Ich leihe mir heute die Worte des Verbrechers zur Rechten: Jesus, gedenke mein, wenn du in deinem Reich bist.

Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür/, Gott sei Lob, Ehr und Preis (Ev. Gesangbuch 27, 6). Der Cherub, der Wächter des Paradieses, steht nicht mehr davor. Der Weg ist frei. Ein Weihnachtslied. In dieser Strophe passt es auch heute, am Karfreitag, denn Jesus und der Verbrecher werden sich heute im Garten des Paradieses wiedersehen.

Elke Rosenthal, Superintendentin (Arnstadt)