Die Kirche und das Geld

Ein Text aus dem Markusevangelium (Mk 12, 41–44):

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Ich könnte jetzt viel erzählen über die 96 Kirchen unseres Kirchenkreises und welche Ressourcen eingesetzt werden müssen, um sie zu erhalten. Und die vielen Orgeln – die, die schon saniert sind und von denen viele zu selten gespielt werden. Und die, die noch auf ihre Sanierung warten wie die schöne, große Sauer-Orgel in der Oberkirche. Stellen Sie sich vor, wir hätten – in fünf Jahren etwa - Wandelkonzerte wie auch in diesem Sommer und die wären dreigeteilt – Liebfrauenkirche, Oberkirche, Bachkirche. Wie toll wäre das denn?! Ich würde das gerne noch erleben in meiner Zeit im Kirchenkreis.  

Die Kirche und das Geld.
Die Gemeinschaft der Christinnen und Christen wird kleiner. Mit weniger Kirchensteuerzahlern wird die Kirche weniger Geld haben. Und wir werden mehr und mehr auf Spenden angewiesen sein. In allen Bereichen kirchlichen Lebens.

Jetzt schauen wir auf die Witwe und auf Jesus.
Da sitzt Jesus – vermutlich im Tempel - das sagt die Geschichte nicht wirklich, aber es kann eigentlich nur dort gewesen sein – und beobachtet, ich möchte fast sagen observiert den Gotteskasten, einen Opferstock, in den die Menschen Geld einwerfen. Es wird in den Auslegungen darüber spekuliert, was das für ein Opferstock war und woher Jesus wissen konnte, wieviel die Einzelnen einlegten. Da gibt es die Meinung, ein Priester würde das Geld zählen und den Betrag laut ansagen. Das ist Spekulation. Möglicherweise ein typischer judenfeindlicher Stereotyp?

Ich finde es schon ein wenig dreist, wie Jesus da so hinstarrt und offenbar die Spendenbereitschaft der Menschen kommentiert. Jedenfalls den Jüngern gegenüber. Das ist mir fremd.
Aber so ist Jesus, er verbreitet heilige Unruhe, wo immer er auftaucht. Und er ist immer für Überraschungen gut.

Die Geschichte verschweigt einiges. Warum wirft die Witwe ihr ganzes Hab und Gut, im Grunde alles, was sie hat – und das ist nicht viel – in diesen Kasten? Ist das nicht geradezu fahrlässig? Wovon soll sie jetzt leben?

Wozu wird uns diese Geschichte erzählt? Warum ist sie überliefert?
Möchte Jesus uns die Witwe als Vorbild vor Augen stellen? Ist sie ein Beispiel für „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“? Sollen wir jetzt alles aufgeben und bettelarm werden? Ohne mich. Dazu habe ich keine Lust. Und wenn das alle machten, wird es keine Sauerorgel und keine dreigeteilten Wandelkonzerte geben. Dabei ist es doch so schön, von einer in die nächste Kirche zu wandeln – ein Spaziergang von nicht einmal einem Kilometer – wo gibt es das in Deutschland außer in Arnstadt?

Jesus lobt die Witwe. Nicht so, dass sie es hört – da ist sie schon weg -, er lobt sie vor den Jüngerinnen und Jüngern. Warum? Ich biete Ihnen vier Auslegungen an. Und ich wäre sehr gespannt zu hören, zu welcher Auslegung Sie neigen, vielleicht hätten Sie ja noch eine ganz andere?

Die erste Auslegung: Die Witwe lebt das Ideal der Armut. Im Christentum fand diese Haltung immer schon Anhänger. Denken Sie an die Bettelorden, auch hier in unserer Stadt: Die Franziskaner, die in Arnstadt in der Krankenpflege, in der Seelsorge und vielleicht auch wissenschaftlich gewirkt haben. Und die uns so viel Schönes hinterlassen haben.
Die Witwe fühlt sich also möglicherweise berufen, arm zu leben.

Zweite Auslegung: Die Witwe befreit sich von der Erwartung, sich selbst optimieren zu müssen, vorzusorgen, vielleicht, indem sie noch einmal heiratet, oder im Lotto spielt, oder ihr Geld anlegt. Sie streift diese Erwartungen ab und geht ins Offene. Sie betritt Neuland. Sie durchbricht alle Regeln und will etwas ganz Neues ausprobieren.
Das erinnert mich an einen jungen Mann, Raphael Fellmer, der fünf Jahre lang ohne Geld lebte. Er war verheiratet, hatte erst ein, dann zwei Kinder, und schaffte es wirklich, ohne Geld zu leben. Er tauschte. Bot Arbeitsleistungen an und erwarb durch Tausch Dinge, die er zum Leben brauchte. Die Familie ernährte sich von geretteten Lebensmitteln. Aus diesem Lebensexperiment heraus gründete Fellmer in Berlin als Start-up ein Unternehmen, das Lebensmittel rettet und sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat.

Ich hatte ihn ein paar Mal in meinen Konfirmandenunterricht eingeladen. Die Jugendlichen aus gut situierten, bürgerlichen Familien fanden ihn total verrückt. Sie konnten sich ein solches Leben gar nicht vorstellen. Sie fanden das auch überhaupt nicht erstrebenswert. Sie selbst wollten so erfolgreich werden wie ihre Eltern. Studieren, Geld machen, eine gesicherte Existenz für eine Familie aufbauen usw. Dieser junge Mann irritierte sie zutiefst – ein bisschen wie Jesus, ein bisschen wie diese Witwe.

Dritte Auslegung: Die Witwe verlässt sich vollständig auf Gott. Sie verzichtet auf alle Sicherheiten. Wie sagte Jesus in der Bergpredigt: „Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen. Und unser Vater ernährt sie doch“. Die Frau wirft sich ohne Netz und doppelten Boden Gott in die Arme.

Vierte Auslegung: Jesus fühlt sich ihr sehr nah. Er ist wie sie. Sie ist wie er. Auch er wird alles hingeben. Er wird nichts zurückbehalten. Nichts aufsparen. Sein Leben ist seine ganze Investition.
Nach dem Besuch im Tempel wird er sich auf den Weg nach Golgatha begeben. Sein letztes Hemd hat keine Taschen. Und selbst um dieses Hemd werden andere am Ende noch feilschen.

Diese Frau ist wie er. Sie ist Gott nahe. In ihrer Risikobereitschaft. In ihrem Glauben. Und sie macht ihm Mut. Durch sie weiß er: Ich bin nicht allein.
Sie tröstet ihn und sie weiß nichts davon.
Sie ermutigt ihn und sie weiß nichts davon.
Sie ist Salz und Licht für Jesus.

Elke Rosenthal, Superintendentin des Kirchenkreises Arnstadt-Ilmenau