Anziehend

Kennst du das auch?

Manchmal fühle ich mich derart von einem Ereignis oder von einem Menschen angezogen, dass Widerstand zwecklos scheint. Eine große Attraktion, eine große Anziehung kommen da unvermittelt zur Wirkung.

Der Apostel Paulus schreibt um das Jahr 55 n.Chr. an die Gemeinden in Galatien, an die damals in Kleinasien lebenden Kelten:

„Denn ihr, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ (Galater 3, 27)

Paulus hat jene buchstäblich umwerfende „Christus-Attraktion“ selbst erfahren. Die Anziehungskraft jenes Mannes aus Nazareth. Seine Attraktivität geht auf den Menschen über, der sich mit ihm identifiziert, sich ihm und seiner Botschaft mit Haut und Haar verbindet.

Auch mit mir ist das geschehen. Um mich war es geschehen, als ich als kleines Kind von meinen Eltern und Paten zur Taufe gebracht wurde. Seither habe ich eine zweite Haut. Ich habe „Christus angezogen“. Das ist mir erst im Laufe meines Lebens wirklich und wirkungsvoll bewusst geworden. Dazu brauchte es Menschen, die diese Anziehungskraft leben und überzeugend weitergeben haben.

Manchmal fühle ich mich auch heute derart angeregt von dieser „Christus-Attraktion“, als hätte ich Flugzeuge im Bauch. Ein fröhliches Lied auf den Lippen. Eine heitere Gelassenheit, selbst in stressigen oder konfliktreichen Situationen. Kennst du das auch? Nicht immer, aber manchmal?

Das Leben in und mit der Attraktivität Christi ist folgenreich. Sie überwindet schmerzhafte Ausgrenzungen und sinnlose Brandmauern. Sie sieht im Menschen neben mir nicht zuerst den Konkurrenten, den Fremden oder gar den Feind. Wenn wir angezogen und anziehend sind wie Christus, wenn wir aus seiner Attraktivität leben, haben nationale Überheblichkeit, haben soziale Rangordnungen oder sexuelle Orientierung keine Polarisierungskraft. Paulus schreibt:

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3, 28)

‚Schön wär’s‘, wirst du jetzt vielleicht sagen. Diese Einheit in Vielfalt kommt doch ziemlich selten vor. Und auch unter den Christen ist von dieser attraktiven Einigkeit oftmals wenig zu spüren. Was bleibt? Christen sollten vorsichtig und kraftvoll sein. Vorsichtig in der Nutzung des moralischen Zeigefingers. Kraftvoll im Beten und Tun des Gerechten. Wenn du einem attraktiven Christenmenschen begegnest, lade ihn auf einen Kaffee ein. Frage ihn nach den persönlichen Christus-Attraktionen, die ihn geprägt haben. Und wenn du keinen triffst, rufe mich an. Vielleicht kommen wir zusammen weiter...

Thomas A. Seidel, Pfarrer und Beauftragter für pastorale Dienste